Dem Verlust folgt die Dankbarkeit...

 Zum ersten Mal seit Monaten kann ich wieder atmen, bin ich in der Lage dazu, einen klaren Gedanken zu fassen. Angst wird wieder zu Liebe. Kontrolle zu Vertrauen.

 

Dieses Jahr entpuppte sich als Alptraum, als eine endlose Aneinanderreihung von schlimmen Ereignissen, geprägt von dem größten Verlust, den ich je durchleben und von den dunkelsten Momenten, die ich je ertragen musste. Zu wissen, dass die Zeit mit einem über alles geliebten Menschen zu Ende ist, begreife ich erst langsam. Über Monate hinweg habe ich den Atem angehalten, wenn der Name meiner Mama auf meinem Telefon aufblinkte. So viele Nachrichten, so viele Anrufe, so viele Stunden, in denen ich um dich gebangt habe. Die Angst, dass es das letzte Mal war, dass ich dich gesehen habe, dass ich aufwache und du nicht mehr aufgewacht bist. Dabei hätte ich es besser wissen müssen, dass du nicht gehen wirst, ohne, dass wir bei dir sind, deine Hand halten, dich küssen und dich auf deiner letzten Reise begleiten werden.

 

Während der Krankheit an deiner Seite gewesen zu sein, ist wohl das Dramatischste und doch Würdevollste, was ich je gemeistert habe. Ich frage mich immer noch, ob ich alles gesagt habe, etwas vergessen habe, ob ich genug Zeit mit dir verbracht habe. Zu oft frage ich mich, was du da ertragen musstest und wie du das geschafft hast. Denn auch, wenn du nicht mehr bei uns bist, hast du wieder einmal bewiesen, dass es nicht darauf ankommt, was einem im Leben widerfährt, sondern wie man damit umgeht. Du hast um Hilfe gebeten, hast dich pflegen lassen, nachdem du es die letzten 65 Jahre gewohnt warst alles alleine zu meistern, du hast dich zu keiner Zeit selbst bemitleidet oder bist wütend gewesen, obwohl wir es alle waren. Du hast diese Krankheit und den unausweichlichen Verlauf angenommen und hast dich nicht ergeben, sondern hingegeben, mit der tiefen Gewissheit, dass dieses Leben nur ein Zwischenstopp auf (d)einer unendlichen Reise ist.

 

Zuerst war da nur der Schmerz, in mir wüteten nur die Trauer, Wut, Unverständnis und Angst. Nach deinem Tod gab es nur noch Leere, ein Vakuum, in dem ich nicht mehr atmen konnte. Ich empfand keine Liebe mehr, ich spürte keine Freude, da waren keine Tränen, dafür war die Angst mein ständiger Begleiter: unermessliche Angst vor dem Tod, davor selbst zu erkranken, etwas übersehen zu haben. Angst davor die Augen zu schließen, Angst davor erneut jemanden verlieren zu können. Diese Angst hat alle anderen Gefühle in mir betäubt, mich lahmgelegt, in mir unermessliche körperliche Schmerzen ausgelöst.

 

Inzwischen weine ich wieder mehr, was sich richtig anfühlt, weil es nun mal zum Weinen ist, dich nie wieder sehen zu können, nie wieder umarmen zu dürfen, nie wieder mit dir Badminton zu spielen, dich nie wieder um Rat fragen zu können, damit du mir sagst, dass nur ich selbst weiß, was richtig für mich ist. Ich vermisse deine Witze, deine Weisheiten, wie du mich jedes Mal mit den Worten „Ich hab dich lieb, mein Schatz.“ verabschiedet hast. Ich hätte nie gedacht, dass es unser letztes Weihnachtsfest gewesen ist, der letzte Geburtstag, das letzte Jahr, was wir gemeinsam verbracht haben. Ich habe mich niemals als eine Braut gesehen, aber ich habe mir immer vorgestellt, dass du mit mir mein Kleid aussuchen würdest. Ich wusste nie, ob ich mal eigene Kinder möchte, aber du hast mir gezeigt, dass Familie alles ist, wofür es sich zu leben lohnt.

 

Langsam kommt die Traurigkeit wieder zurück in mein Leben, aber auch all die anderen Gefühle, die ich schon viel zu lange vermisst habe. Ich spüre mich wieder, kann fühlen, dass ich in Sicherheit bin, egal was passiert und dass du geborgen bist, wo auch immer du sein magst. Und nach einem Augenblick der Trauer ist da noch so viel mehr als das. Ich spüre eine unendliche Dankbarkeit für all das, was du gegeben hast, für den wunderbaren Menschen, der du gewesen bist.

 

Für alle Menschen, die um jemanden trauern: Versucht darüber zu sprechen, bittet um Hilfe und hört niemals auf daran zu glauben, dass ihr irgendwann wieder Freude empfinden werdet!


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Kommentare: 6
  • #1

    Tina Gläß (Montag, 11 Oktober 2021 22:15)

    Deine Worte gehen unter die Haut …fühl dich gedrückt ❤️

  • #2

    Tamara (Montag, 11 Oktober 2021 23:16)

    Fühl Dich Gedrückt Anna ♡

  • #3

    Edyta Mama von Leni (Montag, 11 Oktober 2021 23:29)

    Ich habe Tränen in den Augen fühl dich ganz warm gedrückt ❤️

  • #4

    deine Mama (Dienstag, 12 Oktober 2021 08:29)

    Anna, du hast deine/unsere vergangenen Monate wunderbar in Worten beschrieben.
    Du hast und wirst den Weg aus dieser Trauer finden.
    Wir müssen dankbar sein, dass wir diese Jahre mit deinem Papa gemeinsam erleben durften.
    Ich hab dich lieb mein Schatz.

  • #5

    Stefanie (Dienstag, 12 Oktober 2021 14:46)

    Das hast Du sehr einfühlsam geschrieben, es geht unter die Haut ich hoffe, die Zeit hilft Euch.
    Liebe Grüße Stefanie

  • #6

    Annika (Freitag, 02 September 2022 15:15)

    Dein Text hat mich zu genau der richtigen Zeit gefunden ❤️ Danke